Besuch

Martin steht wie immer um 6 Uhr auf. Geht ins Badezimmer, wäscht sich und zieht neue Klamotten an. Jeden Tag, seit über 20 Jahren. Tag ein und Tag aus. Martin ist 40 Jahre, lebt alleine und sein Job, na ja, es ist ein Job und bringt die Miete und so weiter nach Hause.
Doch nun hatte er endlich sich mal dazu aufgerafft Urlaub zu nehmen. Ganze zwei Wochen hat er sogar bekommen. Doch was kann man machen? Eigentlich hatte Martin viele Hobbys, doch fing er sie meist an und brachte sie aber so gut wie nie zu Ende

Seine Kurzgeschichten und sein Tagebuch hatte er mal intensiv benutzt, nur leider hat er dieses auch schon seit Monaten nicht mehr beachtet. Seine Kamera, die er sich mal für teures Geld besorgt hatte, war kaum noch zu erkennen, soviel Staub hat sich in den letzten Monaten sich drauf gebildet. Auch seine Wohnung, die Einzimmerwohnung, sah nicht wirklich einladend aus. Eher, als würde darin jemand hausen. Keine Sortierung zu sehen. Papiere wurden auch nur gestapelt. Der Schreibtisch sieht auch nur aus, als wäre dieser Ort eine bessere Ablage. Den Rest der Wohnung beschreibe ich jetzt mal nicht. Martin hat sich dem Leben einfach nichts mehr zu sagen gehabt und so lebt er schon seit mehreren Jahren. Arbeit, Essen, Film schauen und dann wieder ins Bett. Manchmal stand er auch nur vorm Spiegel und schrie sich an und beleidigte sich, weil er jedes Mal dachte, dadurch wird es besser. Er dachte auch mal an einer Therapie, die Wartezeiten sind jedoch unfassbar lang und so gab er diese Idee auch schnell wieder auf. An Selbstmord dachte er selten. Immer wenn er Gedanken daran hatte, fielen ihm die womöglichen Schmerzen ein, die auftreten könnten und von Schmerzen hatte er genug, auch wenn es andere waren.

Jetzt war der Urlaub angekommen. Zwei Wochen weg von der Firma und dem leblosen Job. Seine Liebe zu irgendwas war verloren gegangen, doch wo er jetzt wieder um 6 Uhr aufgestanden war, wusste er nicht, was er machen sollte.
Erst ein kleines Frühstück, dann mehrere Becher Kaffee und danach gab er sich eine warme Dusche. Nach dem Duschen stand Martin vor dem Spiegel und sah sich beim Zähneputzen zu. Das Letzte, was er immer machte, bevor er sich seine Jacke anziehen würde, um dann zur Arbeit zu fahren. Dieses musste er an diesem Tag aber nicht machen. Trotzdem steht er mit seiner Zahnbürste im Badezimmer und schaut in den Spiegel. Martin nahm die Zahnbürste aus dem Mund, schaute noch intensive sich in den Spiegel an und grinste. Doch sein Grinsen verschwand noch schneller, als er versucht hatte sich grinsend zu sehen, zu wollen.
Er griff zum Wasserhahn, stellte das Wasser an und spülte seine Zahnbürste aus. Anschließend beugte er sich weiter hinunter, sodass er mit dem Mund den Wasserstrahl erreichte. Sein Mund wurde befüllt. Mit dem Wasser im Mund kam er langsam wieder aus der Beuge hinauf. Bewegte das Wasser immer wieder von links nach rechts, so wie man ihm das früher mal gezeigt hatte, wie man den Mund, nach dem Zähneputzen, ausspült.
Gedankentief spült er sein Mund aus und wiederholte diesen Vorgang dreimal. Nahm sein Handtuch in die Hand, um seinen Mund damit abzutrocknen. Er bewegte sich zum Spiegel, schaute wieder dort hinein und erschrak. Er sah sich, also sein Spiegelbild. Nur macht es nicht das, was es eigentlich sollte. Es sah fröhlich aus, zog Grimassen. Streckte Martin die Zunge raus, lachte ihn an und viele andere Sachen. Martin stand wie angewurzelt da. War verwirrt, dachte, dass sein Kopf ihm nur ein Streich spielen wurde. Er schloss die Augen und dachte sich, wenn er sie wieder aufmacht, ist das alles wie vorher. Innerlich zählte er von drei rückwärts und öffnete wieder die Augen. Tatsächlich, alles wieder wie vorher. Alles bewegt sich, wie vorher auch. Das Spiegelbild war wieder seins. Das Handtuch, was er fallengelassen hatte, hob er wieder auf.

Nach diesem kleinen Schreck brauchte er erst einmal einen Kaffee. Mit dem frischen Kaffee ging er zu seinem Sofa. Schubste die Sachen, die dort im Weg lagen, vom Sofa und setzte sich erst einmal hin. Zurückgelehnt und die Füße auf dem Tisch, wollte er gerade an seinem Kaffee nippen, doch irgendwas gefiel ihm nicht. Es war die absolute Stille, die in seiner Wohnung herrschte. Das sah er den Fernseher. Er nahm die Fernbedienung in die Hand, zielte auf den Fernseher und bevor er auf die Powertaste drücken konnte, sah er sich schon wieder. Der schwarze Bildschirm reflektierte sein Spiegelbild. Doch sein Spiegelbild war nicht so dunkel, wie es eigentlich sein sollte. Er sah sich, als ob er vor einem Spiegel stehen würde.
„Nicht schon wieder“, dachte sich Martin und wiederholte das, was er im Badezimmer gemacht hatte. Er schloss die Augen und zählte von fünf rückwärts. Es wird sicherlich wieder klappen, es klappe schließlich auch vorhin.

Er machte die Augen wieder auf, starrte auf den Fernseher.
Sein Atem stand still. Martin konnte nicht glauben, was er dort sah. Er sah zu einem hellen Licht. Ein Tennisball, große Lichtkugel, schwebte einfach so in seiner Wohnung, vor seinem Fernseher, herum. Martin ging langsam auf das Licht zu, musste wissen, was da vor seinen Augen schwebt. Sah schon beeindruckend aus, aber auch ein wenig Angsteinflößend. Martin ging immer näher, doch er konnte einfach nicht erkennen, was es war.
Als Martin fast mit der Nasenspitze die Lichtkugel berührte, schwebte es von Martin weg. Dann wieder ein wenig zu Martin hin und dann schwebte es aber auch mal ein wenig weiter in die Höhe. Man konnte denken, es wäre ein Glühwürmchen, doch dazu war es zu groß. Trotzdem holte Martin aus und wollte auf das Licht schlagen, so als wollte er eine Biene vertreiben.
„Halt“, ertönte es aus dem Licht. „Du möchtest doch nicht deinen Beschützer verletzen und verjagen!“.
Martin hielt inne. Er schaute sich um, doch es war keiner, bis auf das Licht, in seiner Wohnung und er war sich eigentlich sicher gewesen, dass Lichter nicht sprechen können. Martin drehte sich um und schloss wieder die Augen. Es musste einfach klappen.
„Martin, du kannst dich wieder umdrehen, ich werde nicht verschwinden“, sagte das Licht
Martin dreht sich langsam um, mochte aber nicht seine Augen öffnen.
„Da du dich jetzt umgedreht hast, kannst du auch gerne deine Augen wieder öffnen“, kam es, diesmal sanfter in der Stimme, wieder vom Licht. Martin traute sich aber nicht und drückte die Augen noch weiter zu. „Das kann nicht sein, Lichter können nicht reden. Du bist eine Einbildung, du bist gar nicht hier, du bist nur in meinem Kopf.“ Martin legte auch noch seine Hände vor den verschlossenen Augen. „Nein, nein, nein, geh weg. Du bist nur was Erdachtes.“
„Das stimmt nicht ganz, auch wenn viele Menschen es meinen, wir seien nicht echt“, entgegnet das Licht und fügte noch hinzu,“doch wenn du deine Augen öffnen würdest, wirst du sehen, dass wir wirklich existieren.“
„Existieren?“ Martin war von dem Wort so überrascht, dass er beim Wiederholen des Wortes, seine Hände senkte und seine Augen öffnete. Was er sah, war kaum zu beschreiben. Das Licht hat eine Menschengestalt sich angenommen. Martin konnte nur nicht sehen, ob es männliche oder weibliche Züge hatte. Diese Überlegung wurde Nebensache, da diese Gestalt nicht einfach dort stand, sondern sich in voller Pracht präsentierte.
Die Gestalt war recht groß. Über 2,50 Meter groß war sein Körper. Martin musste nach oben schauen, damit er ihn ins Gesicht schauen konnte. Doch nicht nur der leuchtende Körper war beeindruckend, sondern auch das, was an seinem Körper war. Es waren weiße Flügel, so wie man es auch immer wieder im Fernsehen sehen konnte. Nun stand er dort, in Martins Wohnung.
Jetzt streckte er sich und dabei breiteten sich die Flügel aus. Eigentlich hätte bei dem Ausmaße viele Sachen umfallen müssen, doch die Flügel stießen nichts um.
„Wer bist du und was soll dieser Aufzug?“ Martin war kreidebleich geworden, doch seine „große“ Angst war verflogen.
„Entschuldige das mit dem Spiegel, ich wollte dich da nicht erschrecken, ich wollte dich eigentlich mal wieder Lachen sehen. Ja und dieser Auftritt jetzt. Es tut mir leid, aber wir wissen einfach nicht mehr, wie wir uns Aufmerksamkeit verschaffen sollen. An uns glaubt ja kaum noch einer und eigentlich wollen wir auch kein Erschrecken oder Angst machen.“
„Moment, wer oder was ist, wir. Du bist alleine hier in meiner Wohnung.“ Unterbrach Martin das Wesen.
„Ja, ich bin jetzt hier alleine mit dir, Martin, aber auf der Welt sind wir ganz viele. So viele, dass wir aufgehört haben zu zählen, wie viele wir wirklich sind. Uns ist es aber auch nicht wichtig, wie viele wir sind, sondern wie viele Menschen wir helfen können. Wir sind nämlich Engel und ich bin dein Schutzengel.“
„Halt, Moment, das ging mir jetzt ein wenig zu schnell. Du bist also mein Schutzengel, aber wieso bist du hier und warum zeigst du dich und …“ Martin wird unterbrochen.
„Ich bin hier, nicht weil du in Not bist, ich bin hier, weil ich eine große Ausnahme machen muss und will. Wir sollen ja nur zum Schutz da sein, doch jetzt habe ich es geschafft, dass ich dich anders unterstützen darf. Ich sehe dich jeden Tag und seit zehn Jahren habe ich kein Lachen mehr gesehen und nun darf ich dir beibringen wieder zu lachen. Auch wenn du es anders siehst, aber es gibt sie noch, die Freude und das Gute, das Lachen und das Leben. Ja und die möchte ich dir gerne vorstellen. Sie sind wirklich nett und …
Ach, was rede ich soviel, folge mir einfach, versuche mir zu vertrauen und wir beide könnten ein tolles Abenteuer erleben.“

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